KAFKAKAFKA
Offenbach Post, Oktober 2006

 




 

 


Kafkas Humor und kühle Präzision szenisch belebt

Inszenierte Lesung für zwei Schauspieler im Offenbacher t-raum

Gastpremiere der szenischen Lesung "Kafka! Kafka!" im Offenbacher t-raum: Zwei seltsame Herren treten auf; der eine laut und aufgebracht, der andere ganz ruhig, taxierend. Sie stecken in Anzügen, die etwas zu groß geraten sind, die Schuhe sind abgewetzt, der jüngere trägt ein zerknittertes Oberhemd. Sie rücken Stühle zurecht, spielen aus einem Kassettenrekorder seltsame Geräusche ab und fixieren ihr Publikum auf irritierende Weise. Abwechselnd oder in verteilten Rollen lesen sie Texte von Franz Kafka. Manche Passagen sprechen sie frei.

Während in der Fachwelt gerade ein Streit über die Notwendigkeit einer weiteren, mit öffentlichen Geldern finanzierten historisch-kritischen Kafka-Ausgabe entbrannt ist, erwecken die am Mainzer Kammerspiel tätigen Schauspieler Christoph Maasch und Harald Preis Kafkas Erzählungen auf der Bühne eindrucksvoll zum Leben. In Eigenregie haben sie ein Programm aus insgesamt zehn längeren und kürzeren Geschichten inszeniert.

Die Auswahl wirft einen vielseitigen Blick auf den Autor, der auch ungewohnt Komisches zu bieten hat. Nach dem kryptischen "Schweigen der Sirenen" und einer absurden Geschichte über "Alltägliche Verwirrung" liest Harald Preis "Blumfeld, ein alternder Junggeselle". Darin bekommt es der Titelheld nach Betreten seiner Mansardenwohnung mit zwei springenden Bällen zu tun. Die Unternehmungen, die der verstiegen grübelnde Junggeselle anstellt, um sie wieder loszuwerden, sind absurd und mehrdeutig. Die Stimme des Schauspielers ist dabei ebenso rauschhaft wie der an eine Traumsequenz erinnernde Text.

Der zweite Teil des Abends offenbart, zu welch sadistischen Fantasien Kafka in der Lage war. Die kühle Beschreibung der legitimierten Grausamkeit "In der Strafkolonie" ist erschütternd. Bis ins Detail schildert der Autor die Vorgehensweise einer Folterung und entwirft einen Dialog zwischen dem Ausführenden und einem eher zufällig in das Geschehen einbezogenen Reisenden. Die Charaktere werden samt ihrer Überzeugungen säuberlich seziert.
Franz Kafka gilt als einer der wichtigsten Impulsgeber der Weltliteratur des 20. Jahrhunderts. Jedoch wären die öffentlichen Mittel für eine Neuausgabe besser in ein Theaterprojekt wie dieses investiert, initiiert von überzeugenden Vollblut-Mimen, die seine Texte auf wahrlich anschauliche und aufwühlende Weise "unters Volk" bringen.

ANKE STEINFADT


Mainzer Rheinzeitung, 20. März 2007